Antikoagulation: Risiken und Alltag einfach erklärt

Antikoagulation: Risiken und Alltag einfach erklärt

25.09.2025

PD Dr. med. Witold Polanski

Die Antikoagulation ist eine medikamentöse Therapie, bei der die Blutgerinnung gezielt gehemmt wird. Ziel ist es, die Bildung von Blutgerinnseln (Thrombosen) und deren gefährliche Folgen wie Lungenembolien, Schlaganfälle oder Herzinfarkte zu verhindern. In Deutschland leben schätzungsweise über 4 Millionen Menschen dauerhaft mit einer Antikoagulation, viele von ihnen wegen Vorhofflimmern, Herzklappenersatz oder nach einer Venenthrombose.

Warum wird eine Antikoagulation eingesetzt?

Blutgerinnsel entstehen, wenn sich das Blut in den Gefäßen verklumpt und den Blutfluss blockiert. Schon ein kleines Gerinnsel kann dramatische Folgen haben: Gelangt es ins Gehirn, droht ein Schlaganfall; verschließt es die Herzkranzgefäße, kommt es zum Herzinfarkt; wandert es in die Lunge, führt es zu einer Lungenembolie, die in etwa 10 % der Fälle sofort tödlich verläuft.

Bestimmte Erkrankungen erhöhen dieses Risiko erheblich. So ist die Gefahr eines Schlaganfalls bei Vorhofflimmern um das Fünffache gesteigert. Nach einer tiefen Beinvenenthrombose liegt die Rückfallquote ohne Behandlung bei bis zu 40 % innerhalb der ersten Jahre. Hier schützt die Antikoagulation zuverlässig, indem sie die Bildung neuer Gerinnsel verhindert und die Gefäße offenhält.

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Wie funktioniert die Hemmung der Blutgerinnung?

Das Blutgerinnungssystem besteht aus vielen Eiweißen, den sogenannten Gerinnungsfaktoren. Normalerweise schließen sie eine Wunde zuverlässig, sobald ein Gefäß verletzt ist. Bei bestimmten Erkrankungen läuft dieser Mechanismus jedoch fehl und es bilden sich Gerinnsel am falschen Ort. Antikoagulanzien greifen gezielt in diesen Ablauf ein und bremsen die Aktivität der Gerinnungsfaktoren.

Klassische Vitamin-K-Antagonisten

Seit Jahrzehnten werden Medikamente wie Phenprocoumon (Marcumar®) eingesetzt. Sie blockieren die Bildung wichtiger Gerinnungsfaktoren in der Leber. Da Vitamin K dabei eine zentrale Rolle spielt, müssen Betroffene ihre Ernährung auf einen gleichbleibenden Vitamin-K-Gehalt achten.

Moderne direkte orale Antikoagulanzien (DOAKs)

Zu den neueren Präparaten gehören Apixaban, Rivaroxaban, Dabigatran und Edoxaban. Sie hemmen gezielt einzelne Gerinnungsfaktoren, wirken verlässlicher und benötigen keine regelmäßige Anpassung durch Blutkontrollen. Studien zeigen, dass DOAKs das Risiko für Schlaganfälle bei Vorhofflimmern um rund 65 % senken, bei gleichzeitig geringerem Risiko schwerer Blutungen im Gehirn.

Heparin

Vor allem in der Klinik oder nach Operationen wird häufig Heparin verabreicht, meist in Form von Spritzen. Es wirkt sofort und schützt effektiv vor akuten Thrombosen.

Was bedeutet eine Antikoagulation im Alltag?

Wer Gerinnungshemmer einnimmt, lebt heute meist ohne größere Einschränkungen. Dennoch gilt es, einige Besonderheiten zu beachten. Da die Blutgerinnung verlangsamt ist, besteht ein erhöhtes Blutungsrisiko. Kleinere Schnittwunden bluten länger nach, und auch Nasenbluten, Zahnbehandlungen oder Prellungen können stärker auffallen als gewohnt. Besonders vorsichtig sollten Betroffene nach Stürzen sein – innere Blutungen können unbemerkt entstehen und müssen sofort ärztlich kontrolliert werden.

Um die Sicherheit zu erhöhen, tragen viele Menschen einen Antikoagulationsausweis oder eine Notfallkarte bei sich. So können Ärztinnen und Ärzte im Ernstfall sofort reagieren. Bei geplanten Eingriffen – etwa beim Zahnarzt oder bei Operationen – ist es zwingend notwendig, die behandelnden Ärzt:innen rechtzeitig zu informieren.

Auch im Bereich Ernährung gibt es Unterschiede. Bei Vitamin-K-Antagonisten ist eine gleichmäßige Zufuhr von Vitamin-K-reichen Lebensmitteln wichtig. Grünes Gemüse, Salate oder bestimmte Kräuter sollten dann in gleichbleibender Menge gegessen werden. Bei DOAKs gibt es jedoch diesbezüglich kaum Einschränkungen. Dennoch können bestimmte Medikamente wie Antibiotika oder Schmerzmittel die Wirkung verstärken oder abschwächen. Deshalb sollte jede neue Medikation mit dem behandelnden Team abgestimmt werden.

Kontrolle und Dauer der Behandlung

Die Dauer einer Antikoagulation hängt von der zugrunde liegenden Erkrankung ab. Nach einer ersten Thrombose reicht oft eine Behandlung über 3 bis 6 Monate. Bei wiederholten Thrombosen, Vorhofflimmern oder mechanischen Herzklappen ist meist eine lebenslange Therapie erforderlich.

Bei Vitamin-K-Antagonisten ist eine regelmäßige Blutkontrolle notwendig. Über den INR-Wert oder den Quick-Wert lässt sich bestimmen, wie stark die Blutgerinnung gehemmt ist. Der Zielbereich liegt meist zwischen INR 2,0 und 3,0. Moderne DOAKs benötigen in der Regel keine routinemäßigen Gerinnungskontrollen, dennoch sollten Nieren- und Leberwerte regelmäßig überprüft werden, da diese Organe die Medikamente abbauen.

Häufige Fragen und Sorgen rund um die Antikoagulation

Die Vorstellung, dass das Blut „nicht mehr richtig gerinnt“, kann verunsichern. Besonders die Angst vor schweren Blutungen beschäftigt viele. Tatsächlich ist das Risiko für Blutungen während einer Antikoagulation erhöht, vor allem wenn weitere Erkrankungen oder Verletzungen hinzukommen. Doch das Risiko für gefährliche Blutgerinnsel ist meist deutlich größer als die Gefahr einer Blutung – deshalb überwiegt in den meisten Fällen der Nutzen.

Viele fragen sich, ob sie bestimmte Lebensmittel meiden müssen. Bei älteren Medikamenten wie Marcumar spielt der Vitamin-K-Gehalt der Nahrung eine Rolle, da Vitamin K die Wirkung beeinflussen kann. Grünes Gemüse, Salate oder bestimmte Kräuter sollten dann in gleichbleibender Menge gegessen werden. Bei den neueren DOAKs ist dies meist nicht mehr nötig.

Auch Sport ist grundsätzlich möglich, solange keine erhöhte Sturzgefahr besteht. Kontaktsportarten, bei denen es leicht zu Verletzungen kommt, sollten aber besser vermieden werden.

Was tun bei besonderen Situationen?

Vor Operationen oder größeren Eingriffen muss die Antikoagulation häufig vorübergehend pausiert oder umgestellt werden. Das geschieht immer in enger Absprache mit dem behandelnden Team. Auch bei Schwangerschaft, Zahnarztbesuchen oder neuen Medikamenten sollte rechtzeitig Rücksprache gehalten werden, da viele Arzneimittel die Wirkung der Antikoagulation beeinflussen können.

Bei unerwarteten Blutungen oder Anzeichen wie Nasenbluten, Blut im Urin oder Stuhl, ungewöhnlichen blauen Flecken oder plötzlichen Kopfschmerzen sollte sofort ärztlicher Rat eingeholt werden.

Antikoagulation ist ein wichtiger Baustein, um schwere Komplikationen durch Blutgerinnsel zu verhindern. Mit dem richtigen Wissen und etwas Umsicht lässt sich der Alltag meist gut gestalten. Regelmäßige Kontrollen, eine offene Kommunikation mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten und ein bewusster Umgang mit möglichen Risiken helfen, die Therapie sicher und wirkungsvoll umzusetzen.

Pflanzliche Mittel und ihre Wirkung auf die Blutgerinnung

Neben verschriebenen Antikoagulanzien können auch pflanzliche Präparate die Blutgerinnung beeinflussen – manchmal stärker, als vielen bewusst ist. Knoblauch, Ginseng, Ginkgo und Ingwer besitzen eine leichte gerinnungshemmende Wirkung und können das Risiko für Blutungen erhöhen, wenn sie in Kombination mit Gerinnungshemmern eingenommen werden. Auch hochdosierte Vitamin-E-Präparate wirken blutverdünnend. Diese Effekte sind zwar schwächer als bei Medikamenten, können aber bei Operationen, Zahnbehandlungen oder Verletzungen bedeutsam werden. Deshalb sollten Patient:innen ihre behandelnden Ärzt:innen immer über die Einnahme von pflanzlichen Mitteln oder Nahrungsergänzungen informieren. Nur so lässt sich das Blutungsrisiko richtig einschätzen und die Therapie sicher anpassen.

Wissenschaftliche Quellen

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  • Patel MR, Mahaffey KW, Garg J, et al. (ROCKET AF Investigators). Rivaroxaban versus warfarin in nonvalvular atrial fibrillation. New England Journal of Medicine. 2011;365:883-891. DOI: 10.1056/NEJMoa1009638

  • Granger CB, Alexander JH, McMurray JJV, et al. (ARISTOTLE Investigators). Apixaban versus warfarin in patients with atrial fibrillation. New England Journal of Medicine. 2011;365:981-992. DOI: 10.1056/NEJMoa1107039

  • Giugliano RP, Ruff CT, Braunwald E, et al. (ENGAGE AF-TIMI 48 Investigators). Edoxaban versus warfarin in patients with atrial fibrillation. New England Journal of Medicine. 2013;369:2093-2104. DOI: 10.1056/NEJMoa1310907

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  • Hindricks G, Potpara T, Dagres N, et al. 2020 ESC Guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation. European Heart Journal. 2021;42(5):373-498. DOI: 10.1093/eurheartj/ehaa612

BITTE BEACHTEN

Dieser Artikel dient ausschließlich der allgemeinen Information und kann nicht das persönliche Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt ersetzen. Für eine individuelle Diagnose, Therapieempfehlung und Behandlung konsultieren Sie bitte immer medizinisches Fachpersonal.

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