Neuropathie bezeichnet eine Schädigung oder Funktionsstörung von Nerven außerhalb von Gehirn und Rückenmark, also des sogenannten peripheren Nervensystems. Betroffen sein können einzelne Nerven oder ganze Nervenverbände, die Bewegungen, Empfindungen und automatische Körperfunktionen steuern. Weltweit leiden Schätzungen zufolge rund sechs bis acht Prozent der Bevölkerung an einer Form von Neuropathie. In Deutschland betrifft das mehrere Millionen Menschen – viele ohne gesicherte Diagnose.
Was steckt hinter dem Begriff?
Im medizinischen Alltag taucht der Begriff in Befunden häufig als „periphere Neuropathie“, „Polyneuropathie“ oder „sensorische Neuropathie“ auf. Gemeint ist immer eine Beeinträchtigung der Nervenfunktion. Diese Nerven sind die Verbindungsleitungen zwischen Gehirn, Rückenmark und Körper. Sie übermitteln Signale für:
- Empfindungen (z. B. Berührung, Schmerz, Temperatur) 
- Bewegungen (Muskelsteuerung) 
- Organfunktionen (Herz, Darm, Blase – sogenannte autonome Nerven) 
Werden diese Nerven geschädigt, kommt es zu Fehlinformationen im Signalweg – und das kann sich sehr unterschiedlich äußern.
Wie macht sich eine Neuropathie bemerkbar?
Die Symptome sind so vielfältig wie die Ursachen. Häufig beginnt alles schleichend – ein Kribbeln in den Zehen, ein pelziges Gefühl in den Fingern oder brennende Schmerzen, besonders nachts.
Typische Beschwerden sind:
- Kribbeln („Ameisenlaufen“) oder Taubheitsgefühle 
- Brennende oder stechende Schmerzen 
- Überempfindlichkeit der Haut oder verminderte Schmerzempfindung 
- Muskelschwäche oder -zittern 
- Unsicherer Gang, Gleichgewichtsprobleme 
- Veränderungen der Reflexe 
In vielen Fällen sind zunächst die Füße und Unterschenkel betroffen, später auch die Hände – ein Muster, das man „Strumpf- und Handschuhverteilung“ nennt. Manche Menschen bemerken nur leichtes Kribbeln, andere haben starke Schmerzen, die den Alltag erheblich beeinträchtigen können.
Ursachen und Auslöser
Es gibt zahlreiche Ursachen für eine Neuropathie – sie ist kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern ein Symptom einer zugrunde liegenden Störung.
Die häufigsten Auslöser sind:
- Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) – die häufigste Ursache weltweit; bis zu 50 % der Menschen mit Diabetes entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Neuropathie. 
- Alkoholkonsum – chronischer Missbrauch kann Nervenschäden durch Giftstoffe und Vitaminmangel verursachen. 
- Vitaminmangel, insbesondere von Vitamin B12, B1 und B6. 
- Medikamente, etwa bestimmte Chemotherapien, Antibiotika oder Mittel gegen Herzrhythmusstörungen. 
- Autoimmunerkrankungen wie Guillain-Barré-Syndrom oder Vaskulitiden. 
- Infektionen (z. B. Borreliose, HIV, Gürtelrose). 
- Erblich bedingte Neuropathien oder Stoffwechselstörungen. 
In rund 20 bis 30 Prozent der Fälle bleibt die genaue Ursache trotz intensiver Diagnostik unklar.
Einteilung der Neuropathien
Neuropathien können auf verschiedene Weise klassifiziert werden. Mediziner unterscheiden sie zunächst danach, wie viele Nerven betroffen sind. Ist nur ein einzelner Nerv geschädigt, etwa beim Karpaltunnelsyndrom, spricht man von einer Mononeuropathie. Sind dagegen viele Nerven gleichzeitig beeinträchtigt, liegt eine Polyneuropathie vor, die meist symmetrisch an Füßen und Händen beginnt.
Darüber hinaus wird die Neuropathie nach der Funktion der betroffenen Nerven eingeteilt. Sind die sensorischen, also empfindenden Nerven geschädigt, treten Gefühlsstörungen, Taubheit oder brennende Schmerzen auf – man spricht von einer sensiblen Neuropathie. Wenn die motorischen Nerven betroffen sind, kommt es zu Muskelschwäche oder Lähmungen, während eine Schädigung der autonomen Nerven das unbewusste Nervensystem beeinträchtigt und zu Problemen mit Herzfrequenz, Blutdruck, Verdauung oder Blasenfunktion führen kann.
Eine weitere Unterscheidung betrifft den Verlauf. Akute Neuropathien entstehen plötzlich, zum Beispiel durch Entzündungen oder Gifte, während chronische Formen sich langsam über Monate oder Jahre entwickeln, wie etwa bei Diabetes oder Alkoholmissbrauch. Diese Einteilung hilft, das Krankheitsbild besser zu verstehen und die Behandlung individuell anzupassen.
Diagnostik – wie wird eine Neuropathie festgestellt?
Die Diagnose einer Neuropathie erfolgt Schritt für Schritt. Zunächst steht ein ausführliches Gespräch über die Symptome, Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahme und Lebensgewohnheiten. Oft lassen sich aus dieser Anamnese bereits erste Hinweise auf die mögliche Ursache gewinnen. Anschließend folgt eine körperliche Untersuchung, bei der die Ärztin oder der Arzt prüft, wie gut Berührung, Temperatur und Schmerz wahrgenommen werden, ob Reflexe auslösbar sind und ob die Muskelkraft verändert ist.
Zur objektiven Beurteilung kommen elektrophysiologische Verfahren zum Einsatz. Die sogenannte Nervenleitgeschwindigkeitsmessung (ENG) zeigt, wie schnell elektrische Signale durch den Nerv geleitet werden. Verzögerungen deuten auf eine Schädigung hin. Eine Elektromyographie (EMG) prüft zusätzlich die elektrische Aktivität der Muskulatur, um festzustellen, ob auch motorische Nerven betroffen sind.
Ergänzend werden Blutuntersuchungen durchgeführt, um Hinweise auf Diabetes, Vitaminmangel, Entzündungen oder Leber- und Nierenerkrankungen zu finden. In speziellen Fällen können eine Magnetresonanztomografie oder sogar eine kleine Nerven- oder Hautbiopsie notwendig sein, um seltene Ursachen wie entzündliche oder erbliche Neuropathien zu identifizieren. Ziel der Diagnostik ist es, die Ursache möglichst genau zu bestimmen, das Ausmaß der Schädigung zu beurteilen und eine individuell passende Therapie einzuleiten.
Ist eine Neuropathie gefährlich?
Viele Menschen erschrecken, wenn sie die Diagnose erfahren. Die Vorstellung, dass Nerven dauerhaft geschädigt sind, löst verständlicherweise Unsicherheit aus. Ob und wie bedrohlich eine Neuropathie ist, hängt stark von der Ursache, dem Verlauf und dem Schweregrad ab. Leichte Formen verursachen meist nur geringe Beschwerden, während fortgeschrittene Neuropathien zu erheblichen Einschränkungen führen können – etwa durch dauerhafte Schmerzen, Gangunsicherheit oder eine erhöhte Verletzungsgefahr, weil Taubheitsgefühle Warnsignale des Körpers abschwächen.
Wenn die Ursache behandelt werden kann, ist es manchmal möglich, das Fortschreiten zu stoppen oder sogar eine Besserung zu erreichen. Bei anderen Formen lässt sich zumindest das Risiko für Komplikationen senken. Eine frühzeitige Diagnose ist daher wichtig, um bleibende Schäden zu vermeiden.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Die Therapie richtet sich immer nach der Ursache und den individuellen Beschwerden. Steckt beispielsweise Diabetes dahinter, ist eine gute Blutzuckereinstellung entscheidend. Bei Vitaminmangel hilft die gezielte Zufuhr fehlender Vitamine. Wenn Medikamente die Auslöser sind, wird geprüft, ob eine Umstellung möglich ist.
Um die Beschwerden zu lindern, kommen manchmal Medikamente gegen Nervenschmerzen zum Einsatz. Auch physikalische Maßnahmen wie Krankengymnastik oder spezielle Übungen können helfen, die Beweglichkeit zu erhalten und das Gleichgewicht zu trainieren. In manchen Fällen werden Schmerztherapien oder psychologische Unterstützung angeboten, um den Umgang mit chronischen Beschwerden zu erleichtern.
Wichtig ist, auf die eigene Sicherheit zu achten – zum Beispiel beim Barfußlaufen, weil Taubheitsgefühle kleine Verletzungen unbemerkt lassen können. Regelmäßige Fußpflege und Kontrollen helfen, Folgeschäden zu verhindern.
Leben mit einer Neuropathie
Der Alltag kann durch eine Neuropathie herausfordernd werden. Viele empfinden die ständigen Missempfindungen als belastend, andere sorgen sich um ihre Selbstständigkeit. Es ist normal, sich zu fragen: Wird es schlimmer? Muss ich mit dauerhaften Einschränkungen rechnen? Wie kann ich vorbeugen?
Nicht jede Neuropathie verschlechtert sich zwangsläufig. Mit einer guten Behandlung und gezielter Unterstützung lassen sich viele Probleme abmildern. Ein aktiver Lebensstil, gesunde Ernährung und der Verzicht auf Alkohol können helfen, den Verlauf positiv zu beeinflussen. Bei Diabetes ist eine konsequente Blutzuckerkontrolle besonders wichtig.
Manche Betroffene profitieren von Austausch mit anderen, etwa in Selbsthilfegruppen. Auch regelmäßige Arztbesuche sind sinnvoll, um Veränderungen früh zu erkennen und zu reagieren.
Wann ist ärztlicher Rat gefragt?
Wer über Wochen oder Monate Kribbeln, Taubheitsgefühle oder Schmerzen in Füßen oder Händen bemerkt, sollte das frühzeitig ärztlich abklären lassen.
Das gilt besonders für Menschen mit:
- Diabetes oder Bluthochdruck 
- hohem Alkoholkonsum 
- bekannten Vitaminmangelzuständen 
- Vorerkrankungen des Nervensystems 
Je früher die Ursache gefunden wird, desto größer ist die Chance, die Nervenfunktion zu erhalten oder zu verbessern. Ein einfacher Reflex- und Sensibilitätstest kann oft schon erste Hinweise liefern. Bei Bedarf folgen Nervenleitmessungen (ENG) oder Elektromyographie (EMG), um das Ausmaß der Schädigung zu bestimmen.
Wissenschaftliche Quellen
- Hanewinckel R, Drenthen J, van Oijen M, Hofman A, van Doorn PA, Ikram MA. Prevalence of polyneuropathy in the general middle-aged and elderly population. Neurology. 2016;87(18):1892-1898. https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000003293 
- Hicks CW, Selvin E. Epidemiology of peripheral neuropathy and lower extremity disease in diabetes. Curr Diab Rep. 2019;19(10):86. https://doi.org/10.1007/s11892-019-1212-8 
- Callaghan BC, Cheng HT, Stables CL, Smith AL, Feldman EL. Diabetic neuropathy: clinical manifestations and current treatments. Lancet Neurol. 2012;11(6):521-534. https://doi.org/10.1016/S1474-4422(12)70065-0 
- Tesfaye S, Boulton AJM, Dyck PJ, et al.; Toronto Diabetic Neuropathy Expert Group. Diabetic neuropathies: update on definitions, diagnostic criteria, estimation of severity, and treatments. Diabetes Care. 2010;33(10):2285-2293. https://doi.org/10.2337/dc10-1303 
- England JD, Gronseth GS, Franklin G, et al. Practice parameter: evaluation of distal symmetric polyneuropathy—role of autonomic testing, nerve biopsy, and skin biopsy. Neurology. 2009;72(2):177-184. https://doi.org/10.1212/01.WNL.0000336345.70511.0F 
- Julian T, Glascow N, Syeed R, Zis P. Alcohol-related peripheral neuropathy: a systematic review and meta-analysis. J Neurol. 2019;266(12):2907-2919. https://doi.org/10.1007/s00415-018-9123-1 
- Seretny M, Currie GL, Sena ES, et al. Incidence, prevalence, and predictors of chemotherapy-induced peripheral neuropathy: a systematic review and meta-analysis. Pain. 2014;155(12). https://doi.org/10.1016/j.pain.2014.09.020 
- England JD, Asbury AK. Peripheral neuropathy. Lancet. 2004;363(9427):2151-2161. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(04)16508-2