Habit-Reversal-Training gegen Tics und Zwänge

Habit-Reversal-Training gegen Tics und Zwänge

07.11.2025

PD Dr. med. Witold Polanski

Habit-Reversal-Training ist eine spezielle verhaltenstherapeutische Methode, die dabei hilft, störende oder belastende Gewohnheiten, sogenannte Tics oder Zwänge, gezielt zu verändern oder abzubauen. Diese Technik wird häufig bei Menschen eingesetzt, die unter wiederkehrenden, unwillkürlichen Bewegungen oder Handlungen leiden, wie etwa Nägelkauen, Hautzupfen, Haareraufen (Trichotillomanie) oder motorischen und vokalen Tics.

Wie funktioniert Habit-Reversal-Training?

Im Mittelpunkt dieser Therapie steht das Erkennen und Verändern von Gewohnheiten, die als störend oder quälend empfunden werden. Zunächst wird gemeinsam herausgefunden, in welchen Situationen oder unter welchen Gefühlen das unerwünschte Verhalten auftritt. Das Ziel ist, ein Bewusstsein für den Ablauf der Gewohnheit zu entwickeln. Erst wenn klar ist, wann und wie das Verhalten abläuft, kann gezielt dagegen gesteuert werden.

Ein wichtiger Bestandteil ist das sogenannte Gegenverhalten. Das bedeutet, dass anstelle des problematischen Musters eine alternative, unauffällige Bewegung oder Handlung eingeübt wird. Diese Ersatzhandlung wird so oft wie möglich geübt, damit sie im Alltag automatisch an die Stelle des alten Verhaltens tritt. Unterstützend werden Strategien vermittelt, um mit Auslösern und Stress besser umzugehen. Häufig werden auch Angehörige oder das Umfeld mit einbezogen, damit sie helfen können, auf Fortschritte zu achten und Rückfälle frühzeitig zu erkennen.

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Für wen ist diese Methode geeignet?

Habit-Reversal-Training wird vor allem bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen angewendet, die unter sogenannten Tic-Störungen, Zwängen oder Impulskontrollstörungen leiden. Typische Beispiele sind das wiederholte Zwinkern, Räuspern, Kopfschütteln oder das ständige Zupfen an Haut und Haaren. Auch Menschen, die sich das Nägelkauen abgewöhnen möchten, profitieren oft von dieser Methode.

Nicht selten wird diese Therapieform bei der Behandlung des Tourette-Syndroms eingesetzt. Auch bei anderen zwanghaften oder automatisierten Handlungen, die als lästig oder schädlich empfunden werden, kann sie hilfreich sein. Die Methode eignet sich jedoch nicht für jeden Menschen oder jede Störung. In manchen Fällen, etwa bei sehr schweren psychischen Erkrankungen oder fehlender Motivation, ist eine andere Herangehensweise sinnvoller.

Ist das schlimm, wenn so ein Verhalten auftritt?

Viele fragen sich, ob es gefährlich ist, wenn solche Tics oder Gewohnheiten bestehen bleiben. Grundsätzlich sind die meisten dieser Handlungen nicht lebensbedrohlich. Allerdings können sie im Alltag sehr belastend sein, wenn sie zu Schmerzen, Verletzungen, Schamgefühlen oder Ausgrenzung führen. Gerade bei Kindern und Jugendlichen besteht die Sorge, dass sie gehänselt werden oder sich zurückziehen.

Auch Eltern machen sich oft Gedanken, ob das Verhalten „normal“ ist oder ob es behandelt werden sollte. Entscheidend ist, wie stark die Lebensqualität eingeschränkt wird und ob das Verhalten zu Problemen in der Schule, im Beruf oder im sozialen Umfeld führt. Wenn das der Fall ist, kann Habit-Reversal-Training eine sinnvolle Unterstützung bieten.

Was passiert während der Behandlung?

Zu Beginn wird gemeinsam mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten genau beobachtet, wann und wie das unerwünschte Verhalten auftritt. Manchmal werden auch Tagebücher geführt, um Muster zu erkennen. Anschließend wird eine alternative Handlung entwickelt, die möglichst unauffällig ist und das alte Verhalten unterbricht. Diese Ersatzhandlung wird gezielt geübt, zunächst in der Therapie, später auch im Alltag.

Neben dem Training der Ersatzhandlung werden Entspannungstechniken vermittelt, um Stress besser zu bewältigen. Oft hilft es, das eigene Selbstbewusstsein zu stärken und Strategien zum Umgang mit Rückfällen zu entwickeln. Je nach Bedarf werden auch Angehörige oder Freunde eingebunden, damit sie unterstützen und motivieren können.

Die Dauer der Behandlung ist unterschiedlich. Manche profitieren schon nach wenigen Wochen, andere benötigen mehr Zeit und Übung. Wichtig ist, dass die Methode regelmäßig angewendet und immer wieder geübt wird.

Welche Erfolge sind möglich?

Viele berichten, dass sie durch das Habit-Reversal-Training deutlich weniger unter ihren Tics oder Gewohnheiten leiden. Das Verhalten tritt seltener auf, wird schwächer oder verschwindet ganz. Besonders hilfreich ist, dass die Methode nicht nur auf eine bestimmte Gewohnheit abzielt, sondern die Fähigkeit vermittelt, auch andere störende Muster im Leben zu erkennen und zu verändern.

Rückfälle sind möglich, vor allem in stressigen Situationen. Das ist jedoch kein Zeichen von Versagen, sondern gehört zum Lernprozess dazu. Mit weiterer Übung und Unterstützung lassen sich auch solche Phasen meist gut überwinden.

Gibt es Risiken oder Nebenwirkungen?

Das Habit-Reversal-Training gilt als sehr sichere und gut verträgliche Methode. Es werden keine Medikamente eingesetzt, körperliche Risiken bestehen nicht. Manche empfinden das intensive Beobachten und Üben anfangs als anstrengend oder ungewohnt. In seltenen Fällen kann es passieren, dass sich das unerwünschte Verhalten vorübergehend verstärkt. Das legt sich jedoch meist rasch, sobald die Ersatzhandlung gut eingeübt ist.

Bei sehr ausgeprägten psychischen Problemen oder fehlender Motivation ist es ratsam, gemeinsam mit einer Fachperson zu prüfen, ob diese Methode die richtige Wahl ist oder ob weitere Behandlungsbausteine nötig sind.

Wann sollte professionelle Hilfe gesucht werden?

Wenn eine Gewohnheit oder ein Tic als belastend empfunden wird, Schmerzen verursacht, zu Verletzungen führt oder das soziale Leben beeinträchtigt, ist es sinnvoll, sich Unterstützung zu holen. Auch bei Unsicherheit, ob das Verhalten „normal“ ist oder behandelt werden sollte, kann ein Gespräch mit einer Fachperson weiterhelfen. Frühzeitige Hilfe erhöht die Erfolgschancen und verhindert, dass sich das Verhalten verfestigt.

Habit-Reversal-Training bietet einen klaren, strukturierten Weg, um störende Gewohnheiten zu erkennen und zu verändern. Mit Geduld, Übung und Unterstützung lassen sich viele Tics und Zwänge deutlich lindern – und der Alltag wieder unbeschwerter gestalten.

BITTE BEACHTEN

Dieser Artikel dient ausschließlich der allgemeinen Information und kann nicht das persönliche Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt ersetzen. Für eine individuelle Diagnose, Therapieempfehlung und Behandlung konsultieren Sie bitte immer medizinisches Fachpersonal.

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