Orthorexie – Zwang zur gesunden Ernährung

Orthorexie – Zwang zur gesunden Ernährung

13.06.2025

PD Dr. med. Witold Polanski

Orthorexie bezeichnet eine Essstörung, bei der sich das Denken und Handeln zwanghaft um das Thema „gesunde Ernährung“ dreht und der Alltag zunehmend davon bestimmt wird.

Wenn gesunde Ernährung krank macht

Im Alltag begegnet Ernährung ständig: in sozialen Medien, beim Einkaufen, im Gespräch mit anderen. Immer wieder steht die Frage im Raum, was eigentlich „gesund“ ist und was besser gemieden werden sollte. Für viele ist ein bewusster Umgang mit Lebensmitteln etwas Positives. Doch bei der Orthorexie kippt diese Achtsamkeit in einen ständigen Zwang. Jede Mahlzeit wird zum Projekt, Lebensmittel werden akribisch ausgewählt, und der Gedanke an „ungesunde“ Zutaten löst Unruhe oder sogar Schuldgefühle aus.

Anders als bei anderen Essstörungen steht bei der Orthorexie nicht das Körpergewicht im Mittelpunkt, sondern der Drang, sich möglichst rein und gesund zu ernähren. Das Ziel ist kein dünner Körper, sondern ein möglichst „sauberer“ Lebensstil. Die Grenzen zwischen einem gesunden Interesse an Ernährung und einer krankhaften Fixierung sind dabei oft fließend.

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Woran lässt sich Orthorexie erkennen?

Typisch ist, dass immer mehr Lebensmittel als „schlecht“ oder „gefährlich“ eingestuft werden. Die Auswahl wird mit der Zeit so stark eingeschränkt, dass der Speiseplan immer eintöniger wird. Häufig werden ganze Lebensmittelgruppen wie Zucker, Gluten, Milchprodukte oder industriell verarbeitete Produkte komplett gemieden. Auch die Zubereitung spielt eine große Rolle: Nur bestimmte Kochmethoden oder Bio-Produkte werden akzeptiert.

Wer von Orthorexie betroffen ist, verbringt viel Zeit mit dem Planen, Einkaufen und Zubereiten von Mahlzeiten. Einladungen zum Essen werden oft abgelehnt, weil die Kontrolle über die Zutaten fehlt. Das soziale Leben leidet, Treffen mit Freunden oder Familie werden vermieden, wenn dort „falsches“ Essen angeboten wird. Im Extremfall kann es zu Mangelerscheinungen oder Untergewicht kommen, weil die Ernährung zu einseitig wird.

Ist das gefährlich?

Viele fragen sich, ob Orthorexie wirklich schlimm ist – schließlich geht es doch um gesunde Ernährung. Doch das ständige Kreisen um „Erlaubtes“ und „Verbotenes“ kann zu einer massiven Belastung werden. Es entsteht ein starker Leidensdruck, weil das eigene Verhalten nicht mehr flexibel ist und ständig Angst vor „Fehlern“ besteht.

Mit der Zeit kann sich die Lebensqualität deutlich verschlechtern. Gesellschaftliche Aktivitäten werden gemieden, weil sie nicht zu den eigenen Essensregeln passen. Oft kommen Schuldgefühle oder Scham auf, wenn doch einmal von den selbst gesetzten Regeln abgewichen wird. Die Freude am Essen geht verloren, und das Thema Ernährung nimmt immer mehr Raum im Leben ein.

Auch körperlich kann Orthorexie Folgen haben. Durch die starke Einschränkung der Lebensmittelauswahl fehlen dem Körper wichtige Nährstoffe, Vitamine oder Mineralien. Das kann zu Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Muskelschwäche oder sogar zu ernsthaften Mangelerscheinungen führen.

Wie entsteht Orthorexie?

Die Ursachen sind vielfältig. Häufig beginnt alles mit dem Wunsch, gesünder zu leben. Informationen aus dem Internet, Medien oder von Influencern verstärken das Gefühl, ständig auf der Hut sein zu müssen. In manchen Fällen spielen auch Ängste vor Krankheiten oder ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle eine Rolle. Wer in anderen Lebensbereichen wenig Sicherheit empfindet, sucht diese dann vielleicht im strikten Einhalten von Ernährungsregeln.

Auch gesellschaftliche Trends können Orthorexie begünstigen. Die ständige Präsenz von Ernährungstipps, Warnungen vor „schlechten“ Inhaltsstoffen oder die Glorifizierung bestimmter Diäten schaffen ein Klima, in dem Unsicherheit wächst. Nicht selten berichten Betroffene, dass sie ursprünglich nur „etwas gesünder“ leben wollten – bis die Kontrolle verloren ging.

Was tun, wenn der Alltag von Essensregeln bestimmt wird?

Viele, die unter Orthorexie leiden, bemerken zunächst gar nicht, dass sich ihr Verhalten verändert hat. Erst wenn das soziale Leben leidet oder körperliche Beschwerden auftreten, entsteht der Verdacht, dass etwas nicht stimmt. Scham und das Gefühl, „eigentlich doch alles richtig zu machen“, können den Weg zur Hilfe zusätzlich erschweren.

Wer merkt, dass das Thema Ernährung überhandnimmt, sich immer mehr Regeln auferlegt oder soziale Kontakte meidet, sollte das Gespräch mit einer Fachperson suchen. Ernährungsberatungen, Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten kennen das Problem und können dabei unterstützen, wieder mehr Gelassenheit im Umgang mit Essen zu entwickeln.

Ziel einer Behandlung ist es, die starren Denkmuster zu lockern und schrittweise wieder mehr Flexibilität zuzulassen. Es geht darum, die Angst vor bestimmten Lebensmitteln abzubauen und das Vertrauen in den eigenen Körper zurückzugewinnen. Oft hilft es, gemeinsam mit einer Fachperson einen neuen, entspannteren Umgang mit Essen zu erarbeiten.

Auswege aus der Essensfalle

Orthorexie ist behandelbar. Je früher erkannt wird, dass gesunde Ernährung zu einem Zwang geworden ist, desto leichter gelingt der Ausstieg. Es gibt keinen perfekten Speiseplan und keine allgemeingültige Regel, die für alle gilt. Entscheidend ist, wieder Freude am Essen zu finden und sich nicht von starren Vorgaben einschränken zu lassen.

Selbsthilfegruppen, Gespräche mit anderen Betroffenen oder das Einbinden von Familie und Freunden können zusätzlich entlasten. Verständnis und Unterstützung sind auf diesem Weg besonders wichtig. Schritt für Schritt lässt sich so der Alltag zurückgewinnen – mit mehr Freiheit, Genuss und Lebensqualität.

BITTE BEACHTEN

Dieser Artikel dient ausschließlich der allgemeinen Information und kann nicht das persönliche Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt ersetzen. Für eine individuelle Diagnose, Therapieempfehlung und Behandlung konsultieren Sie bitte immer medizinisches Fachpersonal.

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