Aggravation: Übertreiben von Beschwerden im Fokus

Aggravation: Übertreiben von Beschwerden im Fokus

30.06.2025

PD Dr. med. Witold Polanski

Was bedeutet Aggravation?

Aggravation bezeichnet in der Medizin das absichtliche Übertreiben oder Verstärken von Beschwerden, Symptomen oder Einschränkungen. Das Wort kommt ursprünglich aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Verschlimmerung“ oder „Steigerung“. Gemeint ist damit, dass jemand seine tatsächlichen gesundheitlichen Probleme bewusster und stärker darstellt, als sie objektiv vorliegen.

Woran lässt sich Aggravation erkennen?

Im ärztlichen Alltag begegnet der Begriff Aggravation meist im Zusammenhang mit Begutachtungen, zum Beispiel bei Rentenanträgen, Gutachten für Versicherungen oder in der Arbeitsmedizin. Es geht nicht darum, dass jemand seine Beschwerden komplett erfindet – das wäre eine sogenannte Simulation. Bei der Aggravation existieren durchaus echte Symptome oder Einschränkungen, sie werden aber in ihrer Ausprägung übertrieben dargestellt.

Typisch ist, dass Betroffene Schmerzen, Bewegungseinschränkungen oder andere Beschwerden als besonders stark, dauerhaft oder belastend schildern, obwohl die ärztlichen Untersuchungsbefunde dies nicht im gleichen Maße bestätigen. Manchmal berichten Menschen zum Beispiel von extremen Rückenschmerzen, können sich aber bei der Untersuchung normal bewegen. Ärztinnen und Ärzte achten dann auf Hinweise, die auf eine Aggravation hindeuten könnten – etwa auffällige Unterschiede zwischen dem Bericht und den objektiv feststellbaren Befunden.

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Warum kommt es zu einer Aggravation?

Die Gründe für eine Aggravation sind vielfältig und nicht immer leicht zu erkennen. Häufig steckt hinter dem Verhalten ein Wunsch nach Anerkennung der eigenen Beschwerden oder die Hoffnung auf bestimmte Leistungen, wie eine Rente, Entschädigung oder längere Krankschreibung. Manchmal spielen auch psychische Belastungen, Stress oder Überforderung eine Rolle. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Übertreibung unbewusst geschieht, weil sich die eigene Wahrnehmung im Lauf einer Erkrankung verändert hat.

Wichtig ist: Aggravation bedeutet nicht zwangsläufig, dass jemand betrügen möchte. Oft sind die Übergänge zwischen bewusster Übertreibung, tatsächlichem Leiden und psychisch bedingten Verstärkungen fließend. Ärztinnen und Ärzte versuchen deshalb immer, mit viel Fingerspitzengefühl zu unterscheiden, was hinter den geschilderten Beschwerden steckt.

Bedeutung im medizinischen Kontext

In Arztbriefen, Gutachten oder Berichten taucht der Begriff Aggravation meist dann auf, wenn Zweifel an der geschilderten Schwere der Symptome bestehen. Das kann für die weitere Behandlung, aber vor allem für die sozialmedizinische Einschätzung – etwa bei der Vergabe von Renten oder Reha-Maßnahmen – eine Rolle spielen. Wird eine Aggravation vermutet, heißt das nicht automatisch, dass alle Beschwerden unberechtigt sind. Vielmehr wird damit ausgedrückt, dass die tatsächliche Beeinträchtigung vermutlich weniger stark ist, als sie dargestellt wird.

Für Betroffene kann die Erwähnung von Aggravation im Befund zunächst irritierend oder sogar verletzend wirken. Es entsteht leicht der Eindruck, die eigenen Beschwerden würden nicht ernst genommen oder als „eingebildet“ abgetan. Tatsächlich geht es aber darum, eine möglichst objektive Einschätzung der Situation zu ermöglichen – und dabei alle Einflussfaktoren zu berücksichtigen.

Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen

Im medizinischen Sprachgebrauch gibt es verschiedene Begriffe, die sich auf das Darstellen oder Erfinden von Beschwerden beziehen. Bei der Simulation werden Symptome komplett erfunden, ohne dass eine Erkrankung vorliegt. Die Aggravation hingegen beschreibt eine echte Erkrankung oder Einschränkung, die jedoch übertrieben dargestellt wird. Daneben gibt es noch die Dissimulation – dabei werden Beschwerden verharmlost oder heruntergespielt.

Diese Unterscheidungen sind wichtig, weil sie Auswirkungen auf Gutachten, Behandlungen oder sozialmedizinische Entscheidungen haben können. Ärztinnen und Ärzte prüfen daher sehr genau, wie die Angaben einzuordnen sind.

Was bedeutet Aggravation für den weiteren Verlauf?

Die Einschätzung einer Aggravation kann Einfluss darauf haben, wie mit den geschilderten Beschwerden umgegangen wird. In der Regel wird versucht, durch weitere Untersuchungen, Gespräche oder Tests eine möglichst genaue Einschätzung zu erhalten. Das Ziel ist, die tatsächliche Beeinträchtigung zu erkennen und eine angemessene Unterstützung oder Behandlung zu ermöglichen.

Wer sich mit dem Vorwurf der Aggravation konfrontiert sieht, fühlt sich oft missverstanden. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass die ärztliche Bewertung immer versucht, objektiv zu bleiben und niemanden zu verurteilen. Häufig hilft ein offenes Gespräch mit der behandelnden Fachperson, um Unsicherheiten auszuräumen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.

Aggravation ist ein Begriff, der im medizinischen Alltag vor allem bei Gutachten und sozialmedizinischen Einschätzungen auftaucht. Er beschreibt das bewusste Übertreiben von Beschwerden, ohne dass die zugrunde liegende Erkrankung oder Einschränkung komplett erfunden ist. Die genaue Einordnung ist oft nicht einfach und erfordert viel Erfahrung und Einfühlungsvermögen.

BITTE BEACHTEN

Dieser Artikel dient ausschließlich der allgemeinen Information und kann nicht das persönliche Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt ersetzen. Für eine individuelle Diagnose, Therapieempfehlung und Behandlung konsultieren Sie bitte immer medizinisches Fachpersonal.

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